Bergpunkt

Interview mit Michael Wicky

«Am Ende kommst du glücklich heim»

Michael Wicky über seine Zeit als Geschäftsführer bei bergpunkt und sein Blick in die Zukunft

 

Michael, nach fast 25 Jahren beginnt für dich ein Leben ohne bergpunkt – was empfindest du? 
Die grosse Freiheit!

War bergpunkt eine Fessel? 
Nein, aber auch wenn ich nicht für bergpunkt arbeitete, machte ich mir meine Gedanken dazu. Oder waren Gruppen bei schwierigen Bedingungen unterwegs, fragte ich mich, wie es ihnen geht. Insofern fühle ich mich jetzt auf gewisse Weise befreit.

Wehmütig bist du nicht? 
Ein wenig schon. Aber ich bin nicht so der Typ für Wehmut. Ich lebe im Moment. Und ich bin sehr glücklich, bergpunkt an ein gutes Team zu übergeben.

Dein Weggang war auch seit längerem geplant. 
Vor zwei Jahren sagte ich unserem Verwaltungsrat: «In zwei bis fünf Jahren bin ich nicht mehr an dieser Stelle.» Sie nahmen das ernst und suchten eine Nachfolge, was ziemlich schwierig war.

Weshalb? 
Weil es nebst dem Führen des Geschäfts auch bergtechnisches Wissen braucht: Bergführer*innen coachen, gute Touren raussuchen, neue Programme konzipieren, technische Fragen beantworten. Ich bin sehr froh, dass wir mit dem Bergführer Alex Pohl jemanden gefunden haben, der all diese Kompetenzen hat.

Blicken wir zurück. Erinnerst du dich an den Moment, als die Idee entstand, bergpunkt zu gründen? 
Das war ein fliessender Prozess. Emanuel Wassermann und ich arbeiteten seit rund zehn Jahren als Bergführer, leiteten oft gemeinsam Touren und hatten beide kleine Kinder daheim. Deshalb suchten wir nach Lösungen, um mehr Zeit zu Hause zu verbringen, ohne auf die Berge zu verzichten.

Eine Bergsportschule war die Lösung. 
Am Anfang war das nicht so klar. Wir wollten das Unternehmen erst «Berg Service» nennen. Wir überlegten etwa, Sicherheitskonzepte für Bergbahnen oder SAC-Sektionen anzubieten oder Ausbildungsunterlagen zu publizieren; eine weitere Idee war ein Parcours, auf dem Gäste ihre Fertigkeiten für Hochtouren trainieren konnten. Ich hatte auch ein fertiges Konzept für eine Bergplattform erstellt und spielte mit dem Gedanken, eine Datenbank für Beinahe-Unfälle zu lancieren.

Und wie kam es vom «Berg Service» zu bergpunkt? 
In einer unserer vielen Diskussionen, sagte ich zu Emanuel: «Es geht einfach um Berge. Punkt.»

Und am Ende war es doch eine Bergsportschule. 
Ja. Aber wir wollten keine typische Bergschule sein. Wir wollten speziell sein.

Ist euch das gelungen? 
Ja, auch wenn wir heute sogenannte 0815-Touren anbieten, was wir damals nicht wollten.
 (lacht) 
Aber begpunkt ist bis heute eher klein, persönlich und familiär; das unterscheidet uns von manchen anderen. Und bergpunkt basiert auf Innovation. Das motivierte mich immer: neue Projekte und Angebote zu entwickeln.

Hättest du bei der Gründung gedacht, dass du bis 2024 bei bergpunkt bleiben wirst? 
Ich sagte damals, ich würde fünf oder zehn Jahre in das Projekt investieren.

Doch du bist geblieben... 
... dank den Menschen und den Beziehungen, die im Lauf der Jahre entstanden: mit den Bergführer*innen, den Mitarbeitenden, den Gästen. Nach zehn Jahren wurde mir klar: Das ist meine Familie. Warum etwas anderes tun, wenn ich es hier so gut habe?

Und deine Familie war glücklich damit, dass deine Arbeit deine zweite Familie war? 
Am Anfang von bergpunkt arbeitete ich sehr viel. Emanuel und ich führten beide noch, weil das Geschäft in den ersten Jahren nicht genug abwarf. Ich und meine Familie schätzten jedoch sehr, dass ich regelmässig daheim sein konnte. Das Büro war drei Minuten von zu Hause entfernt. War meine Frau unterwegs, kochte ich den Kindern das Mittagessen und war am Abend daheim. Als Führer war ich oft wochenweise unterwegs gewesen.

Nahm dieser Druck der Anfangsjahre mit der Zeit etwas ab? 
Ja. Es ging immer aufwärts. Und die Leute hatten uns gern.

Gibt es Projekte, an die du dich besonders gern erinnerst? 
Da gibt es viele. Unsere Merkblätter und Lehrbücher sind für mich ein Highlight. Oder dass wir die «Spontantouren» erfunden haben, die nun schweizweit kopiert werden. Und die Zusammenarbeit mit den Bergführer*innen natürlich. Als Bergschule hast du ja ein Problem: Gute Bergführer*innen finden rasch Privatgäste, zügeln diese vielleicht gar von der Schule ab, und arbeiten nur kurze Zeit für dich. Weniger beliebte Bergführer*innen finden kaum Privatgäste und wollen für dich arbeiten. Wir lösten dieses Dilemma, indem wir Verträge aufsetzten, die für uns und die Bergführer ein Win-Win waren. Zudem haben alle unsere wichtigsten Bergführer*innen Aktien. Sie tragen und gestalten bergpunkt mit.

Was bleibt von dir, wenn du weiterziehst? 
Es ist mir gar nicht so wichtig, dass etwas von mir bleiben wird. Schau, es ist wie mit Kindern: Ein Kind soll nicht tun, was du toll findest. Es ist spannender, wenn es mit Überzeugung und Feuer etwas tut, an das du gar nie gedacht hättest.

Stichwort Entwicklung: Du hast vor dem Gespräch erwähnt, dass es dich fasziniert, Menschen in einer Phase der Entwicklung zu begleiten. 
Ja, das fasziniert mich zunehmend. Vielleicht wäre es gar ein mögliches Berufsfeld in den nächsten Jahren.

Hast du konkrete Pläne? 
Ich mache eine Coaching-Ausbildung.
(lächelt)
Wer weiss, vielleicht gibt es ja künftig Leute, die sich von mir coachen lassen wollen, um beim Bergsteigen weiterzukommen.

Also noch kein Ruhestand. 
Ich möchte nicht mehr so viel arbeiten wie in den letzten Jahren und ich möchte nicht mehr eine permanente Verantwortung tragen. Aber ich will und muss weiterhin arbeiten.

Und du brennst nach wie vor für die Berge. 
Ja! Ich freue mich aufs Bergführen. Ausserdem baue ich gerade eine Webseite auf als Gutachter bei Bergunfällen. Etwas, das ich vorher bereits ab und zu gemacht habe.

Du heisst die Zukunft ergebnisoffen willkommen – wie am Anfang von bergpunkt. 
So ist es. Ich werde sehen, wohin es mich zieht. Frei von Druck. Verwirklichen durfte ich mich ja bereits.

Das ist ein Privileg.
Allerdings. Im Beruf wie auch in den Bergen. Und wie im Beruf ist es auch in den Bergen: Ich gehe immer noch gerne auf coole Touren. Aber wenn du mich nach meinen Traumtouren fragst, ist meine Antwort: Ich habe alle Touren gemacht, von denen ich je geträumt habe!

Und was wünschst du dir für die Zukunft von bergpunkt? 
(sucht ein Blatt) 
Das habe ich mir aufgeschrieben...

Die Frage musste kommen. 
Also: Ich wünsche mir, dass die Leute bei bergpunkt sich verwirklichen können und das tun, was ihnen Freude macht. Und dass genau solche Leute für bergpunkt arbeiten. Denn mit den Bergen zu arbeiten ist etwas vom Schönsten, wenn man motiviert dafür ist. Ausserdem wünsche ich mir, dass bergpunkt – angesichts einer gewissen Knappheit im Bergführerberuf – immer gute Bergführer und Bergführerinnen finden wird. 
(legt das Blatt weg und lächelt) 

Und was wünschst du dir für alle bergpunkt-Gäste? 
Eine meiner Faustregeln lautet: Ist man sich nicht sicher, ob man eine Tour unternehmen soll oder nicht, lohnt es sich immer, die Tour zu unternehmen. Deshalb wünsche ich allen Gästen, dass sie sich immer wieder motivieren, in die Berge zu gehen. Auch wenn es bei ihnen mal grad nicht so gut läuft oder die Bedingungen unperfekt sind. Bei der Heimkehr werden sie glücklicher sein als zuvor!