Reepschnüre und Schlingenmaterial
Reepschnüre und Schlingenmaterial – eine Auslegeordnung
von Tobias Martin, Bergführer bei bergpunkt - 3. Juli 2024
Als ich (Tobias Martin) – wie wohl die meisten von Euch – mit Bergsteigen und Klettern begonnen habe, war das Leben noch einfach: Eine Reepschnur war eine Reepschnur. Es gab zwar dicke und dünne, klassisch gemusterte und neonfarbene, aber das war dann auch schon alles, was es beim Kauf zu entscheiden gab.
By the way: Weisst du, woher der Name «Reepschnur» kommt? Das hat tatsächlich etwas mit der Reeperbahn in St. Pauli zu tun! Ein Reep ist in der Seefahrt der Name für ein Tau. Diese wurden von den «Reeperschlägern» auf den sogenannten «Reeperbahnen» durch das Verdrillen dünner Seile aus Hanf oder Flachs hergestellt. Wir sind also alle auch ein wenig Matrosen!
Doch zurück zu den Reepschnüren an unserem Klettergurt: Diese waren bis vor kurzem ausnahmslos aus Polyamid, im Handel mit dem Markennamen «Nylon» oder «Perlon» verkauft.
Im letzten Jahrzehnt dann kamen neue Kunststoffgewebe dazu: Aramide, die du vielleicht unter dem Markennamen «Kevlar» kennst, und Polyethylen, bekannt als «Dyneema». Diese neuen, hyperstatischen Materialien, haben entscheidende Vorteile. Diese zu kennen und das neue Material richtig einzusetzen kann entscheidend sein.
Ein kurzer Überblick
Polyamid ist verglichen mit den anderen Materialien schwach. Das heisst, eine Polyamid-Schlinge muss z. B. deutlich dicker und schwerer gewoben sein, um dieselbe Anforderung zu erfüllen, wie wenn diese eine Schlinge aus Dyneema wäre. Entscheidender und einziger Vorteil von Polyamid ist seine Elastizität. Nur dank dieser Eigenschaft kann man überhaupt dynamische Kletterseile herstellen. Sie dehnen sich und reduzieren so den Fangstoss auf die stürzende Person und auf das ganze Setup.
Dyneema heisst eigentlich Polyethylen, aber umgangssprachlich nutzt man bei diesem Material immer den Handelsnamen «Dyneema». Dieses ist extrem reissfest und sehr leicht. Zudem hat Dyneema die höchste Schnittfestigkeit dieser drei Fasern. Die Bruchdehnung ist mit einem Stahlseil vergleichbar. Nachteil ist der relativ tiefe Schmelzpunkt. Dies ist breit diskutiert worden, Versuche haben aber gezeigt, dass durch die glatte Oberfläche des Materials weniger Reibungswärme entsteht, und so das Problem kompensiert wird.
Kevlar, auch dies der Handelsname, heisst offiziell Aramid und ist ähnlich reiss- und schnittfest wie Dyneema. Zudem ist der Schmelzpunkt von Kevlar mehr als doppelt so hoch wie der von Polyamid, geschweige denn von Dyneema.
Zusammenfassung und Anwendung
Das zeitgemässe Setup sieht folgendermassen aus:
- Bandschlingen: Dyneema oder Kevlar
Anwendungsbeispiele: Fädeln von Hakenösen, Standplatzbau, Zackenschlingen, T-Anker, Selbstsicherungsschlinge, Flaschenzüge. - Rundmaterial: Dyneema oder Kevlar (mit Polyamid Mantel)
Anwendungsbeispiele: Fädeln von Hakenösen, Standplatzbau, Zackenschlingen, T-Anker, Prusikschlinge beim Abseilen, Flaschenzüge, Hilfsleine zum Materialnachziehen. Achtung: eine Prusikschlinge sollte NICHT aus Dyneemamaterial bestehen (Schmelzpunkt) - Polyamid-Reepschnüre
Aufgrund der vergleichsweise geringen Festigkeit macht es keinen Sinn mehr solche zu kaufen. - Polyamid-Bandschlingen
Anwendungsbeispiel: als Selbstsicherungsschlinge.
Wichtig zu beachten sind folgende Kriterien:
- Bandschlingen und Rundmaterial nie im Einzelstrang verwenden. Die Festigkeit im Einzelstrang mit Knoten sinkt auf kritische Werte. → Am Stand nur Material im Doppelstrang verwenden, egal ob eine Kräfteverteilung oder eine Reihenschaltung aufgebaut wird.
- Knoten reduzieren die Festigkeit um gut die Hälfte. Für eine dauerhafte Verwendung brauchen wir den doppelten, noch besser den dreifachen Spierenstich. Für temporäre Anwendungen wie Sanduhren, Fädeln von Normalhaken und Spaltenbergungen ist der Führerknoten (Sackstich) sauber geknüpft und mit mindestens 5 cm Enden akzeptabel.
Weiterführende Informationen zur Reduktion der Festigkeit bei Knoten findest du im Artikel von Edelrid: Schwächung von textilem Material durch Knoten - Für einen Standplatz um ein Köpfel / Felszacken machen wir einen doppelten Führerknoten.
Die wichtigsten Knoten und Begriffe zum Standplatz
Tipps und Tricks
- Abschneiden und Verschweissen von Kevlar:
Den Kern ein wenig herausziehen und etwas kürzen
Den jetzt längeren Mantel darüber ziehen und diesen nun mit einem Feuerzeug verschweissen. Es kann ein schöner Spitz geformt werden, was das Fädeln deutlich erleichtert. - Fädeln von Sanduhren
Vorformen des Endes entsprechend der Richtung des Loches. Das eher steife Material (Kevlar) bleibt ein wenig in der Form. - Verstauen von Schlingen
Besonders in selbst abzusichernden Routen hat man gerne immer ein paar Schlingen in Griffnähe: ein- bis zweimal gefaltet und mit einem Ankerstich am Rucksacktraggurt befestigt sind sie gut verstaut und doch einfach zugänglich. - Lange Zeit suchte man Meterware aus Kevlar oder Dyneema in der Schweiz vergebens. Während die Dolomitenkletterer in ihren selbst abzusichernden Touren voller Sanduhren und Zacken diese schon lange als Standard verwendeten. Bei Bächli Bergsport findet man z. B. eine Dynema-Reepschnur als Meterware von Salewa (Mastercord).
Und wie weiter?
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